Nichts ist schwieriger als der (geordnete) Rückzug aus unhaltbarer Position
Carl von Clausewitz
Mal einer der immer selteneren Telepolis-Artikel, der sich (selbst-)kritisch mit einer „Wissenschaft“ auseinander setzt, die mAn schon länger auf den akademischen Müllhaufen gehört, ebenso wie manche Geistes-/Sozial-/Jura- oder Ökonomie-„Wissenschaft“. Ein paar Zitate als Schlaglicht:
Ernährungsforschung gleicht dem Lesen einer Glaskugel
Der desolate Zustand ökotrophologischer Forschung ist in der Fachwelt schon lange bekannt
„Die Ernährungswissenschaften sind in einer bemitleidenswerten Lage. Studien in diesem Bereich sind von vielen unbekannten oder kaum messbaren Einflüssen abhängig. Deswegen gibt es immer wieder völlig widersprüchliche Ergebnisse.“
„Epidemiologische Studien können normalerweise keine Beweise liefern. Punkt.“
„Beobachtungsstudien sind nicht geeignet, präventive oder therapeutische Empfehlungen abzuleiten.“
„Beobachtungen, auch groß angelegte, sind keine ausreichende Grundlage für eine moderne Medizin.“
Beobachtungsstudien liefern ausschließlich Korrelationen (statistische Zusammenhänge), jedoch niemals Kausalitäten (Ursache-Wirkungs-Beziehungen/Beweise). „Zusammenhänge zu beobachten heißt noch nicht, Ursachen zu erkennen“
Das Problem bei allen Ernährungsstudien ist die Methodik. Eine Pharmastudie ist verblindet und Placebo-kontrolliert. Aber Sie wissen ja, was Sie gegessen haben. Meistens wird einfach nur nachträglich gefragt, was gegessen wurde. Die einzige wirklich gute Studie, mit einer großen Teilnehmerzahl und über acht Jahre hinweg, hat ergeben, dass es völlig egal ist, wie sich die Probanden ernährt haben. Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes – alles gleich. … Gerade bei den ernährungsmedizinischen Fragen sind die meisten Studien einfach Wissenschaftsmüll.
„Ein kausaler Rückschluss der Erkrankungsgeschichte auf ein spezielles Essverhalten ist nur in extremen Einzelfällen möglich, in der Regel lässt sich dazu nichts sagen“
„Vorbeugung von Volkskrankheiten mittels spezieller Ernährungsempfehlungen“ durch Ärzte sei medizin-ethisch nicht vertretbar, denn dafür fehlten die wissenschaftlichen Belege.
„Wir können nicht genügend wissenschaftliche Evidenz liefern.“
Die beobachteten Ergebnisse der Ernährungsforschung seien daher „argumentativ natürlich sehr, sehr schwach. Aber das war immer so und wird so bleiben.“
Auch auf die Frage, wie hoch der Einfluss der Ernährung auf die Gesundheit (Verfassung) ist, spricht Stehle Klartext: „Das lässt sich nicht quantifizieren. Niemand weiß das.“
„Kein Wissenschaftler kann Ernährung genau messen. Das wiederum bedeutet: Alle in den letzten 20 bis 30 Jahren publizierten Beobachtungsstudien zu den Zusammenhängen zwischen Ernährung und Gesundheit/Krankheit waren und sind fragwürdig. Es könnte also sein, es könnte aber auch nicht sein. Wenn diese Ergebnisse dann in die Öffentlichkeit gelangen, dann ist das sehr schade, denn: Diese Ergebnisse besagen ja nichts.“
Ernährungsstudien seien voll von methodischen Mängeln und daher nicht aussagekräftig. Ergo empfiehlt er den Autoren von Ernährungsstudien: Nochmals von vorn anfangen!
„Das sich abzeichnende Bild der Ernährungsepidemiologie ist nur schwer mit guten wissenschaftlichen Prinzipien in Einklang zu bringen. Das Feld braucht eine radikale Reform!“
„Ernährungswissenschaft …
… scheint in einer Krise zu stecken …
… sieht sich mit öffentlicher Zurückhaltung konfrontiert, ihren wissenschaftlichen Ergebnissen Vertrauen zu schenken …
… trifft auf systemimmanente Grenzen …
… blickt den Limitierungen ihrer Fähigkeiten und Glaubwürdigkeit entgegen, die ihren gesamtgesellschaftlichen Wert behindern/schmälern …
… ist in einem Teufelskreis gefangen …“
„Gesunde Ernährung kann man gar nicht so genau definieren.“
„Wir wissen herzlich wenig über Ernährung.“
„Wissen wir denn tatsächlich so genau, was wir brauchen? So weit ist die Medizin noch nicht.“
„Einerseits wird ständig propagiert, wie wichtig eine gesunde Ernährung ist. Auf der anderen Seite hat die Ernährungswissenschaft bis heute keine schlüssigen Studien für die optimale Ernährung vorgelegt“
Was ist denn nun wirklich ein gesundes Essen für den Normalbürger? „Tatsächlich weiß das auch heute niemand“
„Meiner Meinung nach kann heutzutage ohnehin keine allgemeine Ernährungsempfehlung mehr ausgesprochen werden. Jeder Organismus verstoffwechselt Nahrung unterschiedlich. Es ist schwierig, genau zu sagen, was gesunde Ernährung ausmacht und was nicht. Viele vermeintliche Erkenntnisse sind ins Schwanken geraten … Daher können wir nicht sagen, was alle Menschen unbedingt zu sich nehmen sollen.“
„gesundheitsbezogene Aussagen über Ernährung stets mit einer gesunden Portion Skepsis betrachtet werden“
„Die einzig sinnvolle Ernährung, die gibt es nicht?“ – „Das kann man auf jeden Fall sagen. Das ist klar. Es gibt nicht die eine richtige Ernährung für alle.“
Diese krasse Bestandsaufnahme der Ernährungs“wissenschaft“ wundert mich als langjähriger Veganer überhaupt nicht. Ich habe über Jahrzehnte miterleben dürfen wie selbst Medizin-Professoren an deutschen Universitäten ihren Studenten den hahnebüchensten Unsinn über Ernährung erzählt haben, der durch Existenzbeweis sofort ad absurdum geführt werden konnte. Auch das seit Jahrzehnten andauernde Rückzugsgefecht der „Ernährungswissenschaft“ gegenüber der veganen Ernährung ist dafür bezeichnend. Am Anfang wurde Fleischverzicht komplett abgelehnt, dann ja, aber mindestens Milchprodukte, dann ja, aber nur für Erwachsene, wenn sie einen genauen Ernährungsplan einhalten, dann ja, aber bei Kindern unverantwortlich (garniert mit dem letzten angeblich „veganen“ Unterernährungsskandal der yellow press) und inzwischen sind wir bei Schwangeren als letzter Zielgruppe für die vegan absolut ungeeignet sei angelangt. Da habe ich schnell den Respekt vor der „Ernährungswissenschaft“, die mehr lobbygesteuert, als der Wissenschaft verpflichtet zu sein schien, verloren. Folglich bin ich auch nie aus gesundheitlichen Gründen Veganer gewesen, sondern wurde es aus ethischen Motiven und später aus tierrechtlichen, wobei vegan immer mehr nur ein Standard wurde, der aber darüber hinaus keine wissenschaftliche und genau genommen nicht mal eine ethische Grundlage hat. Der einzige gesundheitliche Einfluß von vegan bezieht sich auf die „Gesundheit“ der Tiere, die nicht abgeschlachtet werden.
Dass jetzt die Ernährungswissenschaft selbst vor einem Scherbenhaufen steht, ist daher nur folgerichtig. Und wenn man sich ansieht wie die einen durch Fastfood zu lebenden Fleisch- und Fettklopsen heranwachsen und andere wie z.B. eine Betty White mit Fastfood alle anderen „Golden Girls“ überlebt hat und mit 97 Jahren noch aktiv ist, dann sollte man mal nach anderen Ursachen für die üblichen Verdächtigen unserer Zivilisationskrankheiten suchen. Mein persönlicher Favorit – der im Artikel überhaupt nicht vorkommt – ist chronischer Stress durch frühkindliche Traumatisierung (kPTBS). Aber dazu müssten die Fachidioten der Ernährungsforschung in ihrem ungenießbaren Suppenbad über ihren Tellerrandhorizont mal hinaus sehen. Das tun sie aber nicht (auch nicht der Autor des Artikels) sondern suhlen sich eher in Selbstmitleid, dass ihre Forschung eigentlich alles für die Katz ist und sie selbst eigentlich überflüssig sind bzw. haben die letzten 20-30 Jahre sich mit Scharlatanerie ein üppiges Einkommen verschafft. Selbstkritische Konsequenzen, die sich aus dieser lebenslügenhaften Bankrotterklärung für die Ernährungwissenschaft ergeben, kann ich aber nicht erkennen. Die Umschulungs- und Suizidtendenzen sind doch sehr verhalten.
Es würde mich auch nicht wundern, wenn für die Psychologie ein ähnliches Wissenschaftsdebakel anstünde. Dort sind die Empfehlungen aka Therapien ähnlich wissenschaftlich unhaltbar bzw. unbrauchbar und nicht wirklich hilfreich. Die methodischen Probleme sind hier ähnlich, da gleichermaßen schwammig und der Blick auf die Ursachen mit selbstverliebtem, humanitär verbrämtem Unentbehrlichkeitsglauben und lukrativem Geschäftsmodell ebenso getrübt.
Meine persönliche Ernährungsempfehlung im Gegensatz zu den „Iss was du willst“-Nicht-Ernährungsempfehlungen im Artikel: wer eine psychische Pferde- und Frohnatur hat, der kann sich wahrscheinlich ein Leben lang wie Betty White (97) mit Fastfood, Queen Mum († 102) mit Alkohol, oder Jeanne Calment (†122) mit Zigaretten traktieren ohne signifikante Nachteile hinsichtlich Gesundheit und Lebenserwartung befürchten zu müssen. Wer die nicht hat, der ist vielleicht gut beraten da etwas vorsichtiger zu sein (-> ACE-Pyramide). Und wer sich vegan ernähren will, der kann das auch tun, aber nicht weil er glaubt, dass das seiner Gesundheit unbedingt zuträglich sei, sondern den Tieren, die nicht getötet werden und dass es wichtiger ist je nach persönlicher psychischen Belastbarkeit mehr oder weniger Psychohygiene zu betreiben, als Kalorien und Nährstoffe in der Nahrung zu zählen.
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