Kooperation vs. Konkurrenz

Das „Märchen“ von Himmel und Hölle

In zwei aktuellen Artikeln wird auf Telepolis über das Verhältnis von Kooperation zu Konkurrenz an sich und deren neue Einordnung aus evolutionärer Sicht geschrieben.
Wenn auch mitunter etwas langatmig, so doch durchaus lesenswert und wert darüber etwas mehr nachzudenken, vor allem über das was in den Artikeln nicht steht.

Im ersten Artikel geht es schlicht um die Tatsache, dass der Mensch als hochsoziale Spezies weit mehr ein kooperatives als ein konkurrierendes Säugetier ist, entgegen der weit verbreiteten neoliberalen Ideologie. So wirklich neu ist die Erkenntnis, dass die Menschheit quantitativ betrachtet mehr Zeit kooperativ als konkurrierend, mehr Zeit im Frieden als im Krieg verbracht hat, nicht. Wie absurd der Konkurrenzgedanke als das Menschsein dominierende Prinzip ist, wird deutlich wenn man es zu Ende denkt. Wie im anfangs zitierten Märchen kann es allen Menschen nur schlecht ergehen, wenn nur jeder an sich denkt, aber niemand an alle. Genau genommen ist nämlich ein einzelner Mensch nicht überlebensfähig und das nicht nur im rein reproduktionsbiologischen Sinn. Ohne die Hilfe und damit Kooperation anderer Menschen wird ein einzelner Mensch früher oder später vorzeitig sterben. Deswegen erzeugt Einsamkeit auch Angst, die Emotion des Überlebens und damit Handlungsdruck wieder mit anderen Menschen in Kontakt zu treten.

Was man sich aber nach der Lektüre des Artikels fragen kann: warum gibt es denn dann überhaupt Konkurrenzdenken, wenn Kooperation unserer Natur so viel näher und natürlicher ist und auch noch die besseren Ergebnisse für das Überleben der Menschheit erzeugt?
Das müsste sich dann doch längst evolutiv rausgemendelt haben. Hat Konkurrenz nur Nachteile? oder was ist die dahinter stehende Motivation? was macht Konkurrenzdenken so hartnäckig, dass es nicht nur nicht tot zu kriegen ist, sondern eben auch noch weite Teile der Gesellschaft und des gesellschaftlichen Diskurses dominiert? Schaut man sich die Nachrichten in den Mainstreammedien an, ist da weitaus öfter von Konkurrenz als von Kooperation die Rede, angefangen in der Politik über die Wirtschaft bis hin zur Sportberichterstattung. Überall, in Werbung, Musik, Film, Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften begegnen sie uns: die schönen, reichen, erfolgreichen, „adeligen“ Menschen, die den Plebs hinter sich gelassen haben. Und auch der Krieg und die Regionen wo er stattfindet ist massenmedial weitaus präsenter als der Frieden bzw. die Regionen wo die Menschen mehr oder weniger in Frieden miteinander leben. Auch das Geschichtsbild orientiert sich an den Kriegen und militärischen Auseinandersetzungen und weniger am friedlich-kooperativen Alltag der Menschen zur jeweiligen Zeit. Und der Kapitalismus hat sich als das weltweit dominierende Wirtschaftssystem durchgesetzt. Geld und Preise sind allgegenwärtig. Es scheint für Geld sei alles zu haben und dass jeder Mensch seinen Preis habe. Die Arbeitswelt scheint mittlerweile vollkommen konkurrenzdominiert zu sein. Hunderte von Bewerbern kloppen sich um eine ausgeschriebene (und wirklich zu besetzende) attraktive Stelle bei deren Besetzung es nur noch darum geht: wer macht’s am billigsten? Im Wohnungsmarkt das gleiche: hunderte von Wohnungssuchenden kloppen sich um die wenigen Wohnungen in guter, urbaner Lage, nur dass hier gilt: wer zahlt am meisten? (Miete). Und im Partnermarkt herrschen Verhältnisse wie bei den Laubenvögeln: welches Männchen kann für das Weibchen mehr (Status und Wohlstand) bieten?
Und dazu kommt, dass soziale Gemeinschaften unsoziales, egoistisches, unkooperatives Verhalten sanktioniert und dafür sogar bereit ist, dafür Ressourcen zu opfern. Auch alles wissenschaftlich schon untersucht, dass Fairness auch einen Preis hat z.B. im Ultimatum-Spiel. Und wie weit die gesellschaftlichen Sanktionen gegen Unfairness reichen, kann man im StGB und BGB nachlesen.
Also dafür, dass Konkurrenz angeblich so viel schlechter, ineffizienter und unnatürlicher sei als Kooperation und auch noch gesellschaftlich sanktioniert wird ist sie doch (gefühlt) ziemlich weit verbreitet.

Es gibt mMn zwei Hauptgründe dafür, dass das letztlich für alle schlechtere Konkurrenzdenken den Stellenwert, die Aufmerksamkeit und die „positive“ Konnotation („Leistung muss sich wieder lohnen!“) hat den es hat.

1. Angst

Wir haben im wesentlichen nur zwei Emotionen: Liebe und Angst. Liebe ist die positive Emotion des Gedeihens. Angst ist die negative Emotion des Überlebens. Hier darf man jetzt nicht den Fehler machen und zu glauben, dass sei beides im Prinzip das Gleiche nur mit umgekehrten Vorzeichen. Nein, Angst funktioniert grundsätzlich anders als Liebe und muss auch anders funktionieren. Und zwar liegt das an der unterschiedlichen Irrtumskonsequenz.
Wenn es um mein Überleben geht, dann ist ein Irrtum tödlich. Wenn es nur um eine Verbesserung meiner Lebensumstände geht, dann ist ein Irrtum zwar ärgerlich, aber nicht tödlich. In der Konsequenz: Angst sticht Liebe. Oder:

Bad is stronger than Good

Selbst in der Wissenschaft selbst, die sich mit Emotionen befasst, die Psychologie, geht es deutlich häufiger um negative Emotionen als um positive. (siehe „Geist und Gehirn – Folge: Emotionen – GUT und SCHLECHT“)
Und wenn man sich die im Zusammenhang mit Konkurrenz auftretenden sozialen Interaktionen ansieht – Gewalt, Krieg, Folter, Mobbing, Korruption, Macht, Lüge, Intrige, Geld, Unfairness, Willkür, Aggressivität, Ignoranz, soziale Isolation, Sieg und Niederlage, Triumph und Demütigung, Ansehen und Verachtung – dann sind das alles ausgesprochen sozial negative Interaktionen und damit von negativen Emotionen getrieben, sprich Angst. Die Macht der Emotionen über unser Handeln sollte man nicht unterschätzen. Denn das was wir glauben was unser Handeln steuert, nämlich unser Bewußtsein mit Verstand und Vernunft, ist nur eine Nußschale auf dem Ozean der Emotionen. Und selbst wenn man das verstanden hat – was bei den meisten Menschen nicht der Fall ist – dann versteht man zwar besser wieso und warum man so handelt und nicht anders, aber dummerweise meist erst dann wenn es zu spät ist.
Ich habe bewußt sozial negativ geschrieben, denn es ist eben nicht per se negativ, weil es ja ums Überleben geht, aber nicht der Spezies als Ganzes, sondern des Individuums. Und wenn dieses sich von anderen bedroht sieht, dann handelt es eben hochmotiviert gegen die Interessen dieser anderen um sich den zum (vermeintlichen) Überleben notwendigen Vorteil zu sichern. Dass es sich dabei u.U. und langfristig auch selbst schadet spielt keine Rolle. Wenn das Hallendach am einstürzen ist – gerade zieht der Orkan auf – dann denkt niemand lateral und reflektiert nach, was denn nun die langfristig bessere Handlungsoption ist, sondern jeder nimmt die Beine in die Hand und sucht den rettenden Ausgang. Und für das Unterbewußtsein, speziell das limbische System, ist es nicht relevant was eine reale Gefahr ist, sondern was es dafür hält. Eine andere Realität gibt es für das limbische System nicht.

Wir haben nun also zwei widerstrebende Pole: einerseits sind wir auf Kooperation zum Überleben angewiesen, wir profitieren von der Kooperation und von dem was sie erreicht, unkooperatives Verhalten wird sozial sanktioniert, andererseits drängen uns unsere negativen Emotionen zum Bruch mit der Kooperation und zum Kampf gegen alles was unsere körperliche Integrität als Individuum real oder vermeintlich bedroht, auch um den Preis der Aufkündigung der Kooperation und Übergang zum Konkurrenzdenken bis hin in letzter Konsequenz zum Krieg. Irgendwo und irgendwie müssen sich die negativen Emotionen also Bahn brechen. Und das führt zum zweiten Hauptgrund:

2. Die Lüge

Die Fähigkeit lügen zu können ist keine speziell menschliche Eigenschaft, sondern im Tierreich weit verbreitet: niederrangige Schweine, die das Leittiere ihrer Rotte um Futter betrügen, wenn sich die Gelegenheit bietet, männliche Sepia, die auf der Körperseite zum einem anderen Männchen als potentiellem Konkurrenten um die Weibchen einen auf harmlos-unbeteiligt tun, und auf der anderen, zum Weibchen hingewandten Körperseite, dieses mit farbenfrohen Spiel der Haut heftigst anbalzen.
Die Lüge ist zwar an sich auch „nur“ ein sozial negatives Verhalten, passt aber eben hervorragend in eine von Angst dominierte Konkurrenz-Strategie. Denn mit der Lüge kann ich einerseits so tun als wäre ich ein soziales, kooperationswilliges Individuum, kann aber andererseits heimlich und sublim meine egoistischen Ziele verfolgen ohne dass es diejenigen, die sich täuschen lassen merken. Hierbei muss man nur eben sehr geschickt vorgehen, denn bekanntlich gilt:

Lügen haben kurze Beine

aber eben nur wenn der Lügner nicht schlau genug ist, seine Lüge zu tarnen. Der plumpe Lügner fällt gleich auf und wird von der Gesellschaft schnell unschädlich gemacht. Es bleiben evolutiv nur die schlauen Lügner übrig. Konrad „Der Fuchs“ Adenauer hat die politisch Lüge regelrecht kultiviert. Als Rheinländer und Katholik ist man der Wahrheit®™ und ehrbarem Handeln sowieso nur pragmatisch verpflichtet (Stichwort: Fringsen). In sofern werden im Kölschen Klüngel regelmäßig nur die Politiker nach oben gespült, die darin ein Meister sind. Und man kann von Adenauer halten, was man will: in der politischen Lüge war er ein Meister. Sei es wie er noch als Kölner Oberbürgermeister der Stadt eine Hängebrücke aufschwatzte, weil man angeblich einer kommunistischen Stadt in der Sowjetunion mit einer solchen Paroli bieten müsse. Diese Brücke gab es dort nur nicht. Oder bei der Abstimmung um den Parlaments- und Regierungssitz von Westdeutschland, ob Bonn oder Frankfurt, wo er mit einer Lüge über die angeblich schon triumphierenden SPDler, die CDUler aus Frankfurt auf Linie für Bonn brachte. Und nicht zuletzt die Lüge im Parlamentarischen Rat wonach er „im Konsens der Demokraten“ diejenigen, die dort „doch nicht das Machtmonopol des Parlamentarismus“ und echte (direkte) Demokratie wollten, auf die Zeit nach der ersten Bundestagswahl vertröstete und nach dieser er und die CDU bis heute von direkter Demokratie nichts mehr wissen wollten.
Die Lüge ist als quasi „Vermittler“ zwischen Kooperation und Konkurrenz in einer modernen, globalisierten Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Nicht zuletzt ist deswegen Lügen an sich auch nicht strafbar. Die Gefängnisse wären mit Politikern, Anwälten, Bankern und Managern überfüllt.

Nie wird soviel gelogen
wie nach einer Jagd, im Krieg und vor Wahlen

Im Umkehrschluß kann man jetzt folgern, dass überall wo negatives soziales Handeln stattfindet, sowohl im Großen wie im Kleinen, Angst die treibende Motivation ist. Und überall, wo negatives soziales Verhalten positiv umkonnotiert wird oder werden soll, ist auch die Lüge im Spiel, speziell wenn es um Konkurrenz, Kapitalismus, Krieg, den „freien Markt“, „im Namen des Volkes“, „freiheitlich demokratische Grundordnung“, „freie Wahlen“, „Recht und Ordnung“, „Wohlstand“, „Freiheit“ (ohne Verantwortung), „Sicherheit“ u.ä. geht.

Dem Gedanken durch Aufklärung und in der Folge zu aufgeklärtem Handeln zu gelangen, steht nicht nur die Tatsache entgegen, dass wir es bei der Angst mit der stärkeren der beiden Emotionen zu tun haben, sondern auch, dass Angst hochansteckend ist und dass dann nicht mehr reflektiert und kreativ gedacht wird, sondern reflexhaft, konservativ reagiert wird, sprich: das gemacht wird, was man kann und schon immer so gemacht hat. So haben die Demagogen leichtes Spiel und die Aufklärer müssen verzweifelt darum kämpfen mit ihrer Nußschale in der rauhen Emotionssee nicht unterzugehen. In der Konsequenz kann man fast von einem aussichtslosen Kampf der Vernunft gegen die Emotionen sprechen. Wenn die Menschheit irgendwann untergeht, dann wird sie an ihren negativen Emotionen bzw. dem daraus folgenden, für die Gesamtheit der Menschheit destruktiven Handeln untergehen.

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