Bei der Lektüre meiner Online-Zeitung bemühe ich mich ja nicht nur die russische (Gegen-)Propaganda auf das Radar zu bekommen, sondern ich bin auch immer auf der Suche nach der besten wertewestlichen Kriegspropaganda, die es Putin und der pro-russischen Propaganda mal so richtig überzeugend gibt. Die Berliner Zeitung hat sich da als Studienobjekt angeboten, denn einerseits ist die kriegspropagandistische Ausrichtung eindeutig, aber nicht immer ganz so platt und billig, wie sie sonst so daher kommt und schon allein durch die Wahl des Vokabulars keinen Zweifel, aber eben auch keinerlei Begründung hat, dass Putin und die Russen überhaupt allein für alles Böse verantwortlich sind und die Ukrainer die unschuldigen Opferlämmer und niemals nicht irgendwelche waschechten Nazis.
Die Berliner Zeitung kann da wohl auf eine ganze Reihe von „Experten“ zurück greifen, die die wertewestliche Kriegspropaganda auf ein intellektuell höheres Niveau zu heben scheinen. Das Interview mit Manfred Quiring ist da ein schönes Beispiel. Zuerst die Expertise: der Mann war zwei Jahrzehnte Korrespondent für BLZ und Welt in Moskau und hat natürlich einen Haufen Bücher über Russland geschrieben und will natürlich auch sein aktuelles Buch verkaufen. Naja, das wollen sie alle, egal ob Mainstream- oder Alternativmedien.
Und wenn man dann das Interview so liest, dann klingt das alles sehr logisch, sehr gefällig und gut begründet warum Russland und Putin die Bösen sind. Aber wenn man mal rein quantitativ eine Wortanalyse macht, dann macht das schon stutzig: 25 mal das Wort „Putin“, aber nur zwei mal im Interview die „USA“ (einmal noch darunter in der Stichwortliste, dort aber fehlt das Wort „Putin“). Das Wort „NATO“ kommt gar nicht vor. Und diese Einseitigkeit zieht sich durch das gesamte Interview wie ein roter Faden: Putin hier, Putin da, Putin überall. Und dass die USA überhaupt erwähnt werden ist fast schon ein Glücksfall, sonst könnte man meinen, dass sie gar nicht existieren. Bei der Existenz der NATO kann man nach diesem Interview schon mehr Zweifel haben. Und wenn man dann noch etwas genauer hinsieht, dann bemerkt man wieder die im Wertewesten-Mainstream verbreitete telepathische Küchenpsychologisierung Putins. Da wird quasi in seinen Kopf hinein geschaut was er alles wollte und was er alles noch will. An Behauptungen gegenüber Putin mangelt es nicht, aber an Begründungen. Die beiden Interview-Partner spielen sich die Bälle im eigenen Strafraum zu. Es wird nur das genannt was passt und was nicht passt, wird passend gemacht. Es wird sogar behauptet, dass die Ukraine souverän über die Führung des Krieges entscheiden würde. Ja, es wird sogar Russland als Herrscher über seine Vasallenstaaten dargestellt. Die USA wären dagegen ein unschuldiges Hündchen, vollkommen ohne Einfluß auf seine formellen und informellen Bündnispartner.
Alles andere, speziell die aggressive Politik von USA und NATO, bleibt außen vor: Odessa 2014, acht Jahre Bürgerkrieg, Minsk II, die Lügen der Ukrainepolitiker, die Nazi-Battallione und und und … alles kein Thema. Aber die Message am Ende stimmt dann wieder:
Aber die Annahme, Nachgeben in irgendeiner Form bringt uns dem Frieden näher, ist ein Irrtum. Putin darf nicht durchkommen. Die gewaltsame Veränderung europäischer Grenzen, die Okkupation fremder Territorien darf nicht hingenommen werden. Die Ukraine, die auch für unsere Interessen kämpft, braucht jede Unterstützung, auch militärische.
Einmal mehr:
Und daraus schließt er messerscharf, dass nicht sein kann was nicht sein darf.
— Christian Morgenstern (aus: die unmögliche Tatsache)
Damit ist eigentlich auch alles gesagt über diesen netten Propagandaversuch, der nur eben einer kritischen Analyse nicht stand hält. Oder um im Bild des Fußballspiels zu bleiben: ja, man kann Querpässe im eigenen Strafraum als Fußball spielen bezeichnen, aber wirklich überzeugend ist es nicht.