Wissenschaftsjournalistischer Unsinn des Tages: die „Saugkraft“ eines Baumes

Manch einer mag sich noch an ein Experiment aus dem Biologie-Unterricht in der Schule oder der Vorlesung in der Uni erinnern, wo ein poröser Tonkopf (manchmal auch direkt ein Pflanzentrieb) dicht auf einem mit Wasser gefüllten Glasrohr saß, das in ein Wasserbecken eingetaucht war. Auf wundersame Weise wurde nun das Wasser aus dem Wasserbecken in das Glasrohr gesaugt, erkennbar am sinkenden Wasserstand. Dies wurde uns damals als Modell des durch Photosynthese transpirationsgetriebenen Wassertransportes in Pflanzen verkauft. Mein Einwand, dass da etwas nicht stimmen könne, da dieses Unterdruckmodell doch nur mit dem endlichen Luftdruck funktionieren würde und es doch Bäume gäbe die höher als 10m sind (Mamutbäume sogar bis 100m Höhe) bewirkte eine peinliche Sprachlosigkeit beim Dozenten. Er meinte dann der Rest würde durch die Kapillarkraft in den Leitbündeln kommen, was mich erst einmal zufrieden stellte.

Aber diese wissenschaftliche Legende des Transpirationssogs als der alleinigen Kraft des Wassertransportess in Pflanzen scheint sich hartnäckig zu halten, denn meine „Lieblings-Wissenschaftsjournalistin“ Nadja Podbregar wärmt diese in einem aktuellen Artikel wieder auf:

Während unser Blutkreislauf von einer eigenen Pumpe, dem Herzen, angetrieben wird, geschieht der Wassertransport im Baum rein passiv: Der durch die Verdunstung in der Krone erzeugte Sog zieht das Wasser in die Höhe.

Das könnte man ja noch durchgehen lassen, wenn danach ein „Ja, aber …“ käme und dann eine differenziertere Betrachtung folgen würde. Stattdessen kommen nur noch Energiebilanzen, ja, der Widerspruch zur Realität wird sogar noch vergrößert

Überraschend auch: Die Überwindung der Schwerkraft macht beim Aufwärtstransport des Wassers im Baum nur einen kleinen Teil der benötigten Energie aus, wie das Team ermittelte. Stattdessen wird die meiste Arbeit dafür benötigt, den Widerstand im Leitungssystem des Baums zu überwinden.

Wenn noch der Widerstand im Leitungssystem dazu kommt dann muss allein mit dem Transpirationssog (für den die Pflanze selbst auch gar keine Energie aufwenden muss, denn die kommt direkt von der Sonneneinstrahlung) schon weit unter 10m Pflanzenhöhe Schluß sein.
An dem Transpirations-Modell kann also so einiges nicht stimmen. Zum Glück habe ich noch eine bessere Erklärung im Netz gefunden. Kurz zusammengefasst: der Transpirationssog und auch die Kapillarkraft sind nur ein kleiner Teil der Kraft die den Wassertransport in einer Pflanze bewirkt. Der entscheidende Teil ist die Diffusion bzw. osmotische Wirkung bei der Wasseraufnahme in den Wurzeln der Pflanze. Der osmotische Druck kann locker die Kraft von Transpiration und Kapillarwirkung übersteigen. Es wäre auch ziemlich risikobehaftet wenn sich eine Pflanze nur auf letztere verlassen würde. Bei höherer Wuchshöhe bestünde ständig die Gefahr des Kapillarabrisses z.B. durch Lufteintritt oder Luftdruckschwankung. Lediglich wenn man abgeschnittene Pflanzenteile in eine mit Wasser gefüllte Blumenvase stellt, muss Transpiration und Kapillarwirkung ausreichen, weshalb Schnittblumen dann auch nicht so schnell vertrocknen. Mit einem Schnitt-Mamutbaum wird das – abgesehen vom rein praktischen Aspekt – allerdings kaum funktionieren. Und auch beim technischen Wassertransport in größere Höhe verlässt man sich höchsten für ein paar Meter auf den Luft- bzw. Unterdruck den eine Wasserpumpe erzeugen kann. Für in größere Höhen wird eine Druckpumpe eingesetzt, wenn nicht gleich ganz auf ein Ansaugen verzichtet wird z.B. beim Brunnenbau. Die Pflanze ist in der Hinsicht eben auch nur ein Mensch und verlässt sich nicht auf die Unterdruckpumpe „Transpiration“.

Dieser Beitrag wurde unter normaler wahnsinn veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Kommentar verfassen (Charta gelesen?)

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s